Bremen, ich liebe dich. Bremen, ich hasse dich

von
Sohrab Mohammad

Sohrab Mohammad schreibt über das Dilemma, ein Bremer zu sein. Und er hat zwei klare Wünsche.

Bremen, ich liebe dich. Bremen, ich hasse dich. Diese zwei Sätze beschreiben die Beziehung zu meiner Heimatstadt sehr gut. Ich bin hier geboren und habe die meiste Zeit hier gelebt. Ich kenne jede Ecke. Mehr als das. Ich habe zu jeder Ecke eine Story. Hier ein Kuss. Da eine Backpfeife. Dort ein Beck‘s. Und überall Bärbel.

Meine Frau hat lange Zeit in London gelebt. Wir führten eine Fernbeziehung. Das gab mir die Chance, jede zweite Woche in eine echte Metropole abzutauchen. London ist krank. Im positiven und negativen. Man trifft niemals jemanden zufällig zwei Mal. Und wenn ich dann doch mal zum zweiten Mal im gleichen Laden essen gehe, genieße ich es nicht. Ich denke nur darüber nach, welches unbekannte Essen ich wohl genau jetzt in diesem Moment verpasse: Einmal Fomo extra scharf, bitte!

Bremen ist immerhin die 11. grösste Stadt Deutschlands. Aber Bremen ist ein Dorf. Vor London habe ich diesen Fakt gehasst. Nach London fing ich an, das zu schätzen. Hier gibt es kein Fomo. Hier gibt es Rollo. Und das seit 40 Jahren. Am gleichen Ort. Mit der gleichen Rezeptur. Zum gleichen (inflationsbereinigten) Preis. Und wenn mal doch ein neues Restaurant eröffnet, brodelt die ganze Stadt. Jeder redet darüber. Jeder geht hin. Jeder wird zum Michelin-Tester. Für Bremer Gatsronomen ist das Fluch und Segen zugleich.

Ich weiß das, weil mein Vater 20 Jahre ein Restaurant hatte. Wenn er einen Preis um 5 Cent anhob, musste er eine Pressekonferenz geben, Buten un Binnen berichtete darüber und der Bremer Senat stimmte ab, ob das die korrekte hanseatische Kaufmannsart ist. Aber eben auch andersrum. Wenn er ein neues Gericht auf die Karte setze, wusste es gefühlt die ganze Stadt und kam zum Probieren und auf einen Klönschnack vorbei. Und weil mein Vater schnacken kann wie der deutsche Meister von 2004 (für alle Nicht-Bremer Leser: Werder!), kamen die meisten Gäste auch wieder. Und genau das ist der Fluch und der Segen dieser Stadt.

Wenn ich mir etwas von meiner Stadt wünschen könnte, dann wären das zwei Dinge.

Erstens, liebe Gastronomen, seid mutiger! Und mit mutig meine ich nicht Foie-gras-mutig. Ich meine, probiert neue Sachen aus und bleibt dabei authentisch. Ich weiß, die Versuchung ist groß, neben Pizza noch Döner und Curry einzuführen. Und ja, irgendwie scheinen diese Anti-Konzepte, in der Kleingroßstadt Bremen besonders gut zu funktionieren. Aber wie so oft ist das ein Henne-Ei-Problem. Essen wir Bremer oft in solchen Läden, weil es von ihnen so viele gibt? Oder gibt es soviele von ihnen, weil wir Bremer sie lieben? Ich weiß es nicht. Aber irgendjemand muss anfangen, damit aufzuhören. Und weil ich euch, liebe Gastronomen gerade am Hörer habe, sage ich: Stop. Arrêt. Alto. Dur. Qif!

Und jetzt zu uns Bremern und meinem zweiten Wunsch: Lasst uns nicht so kritisch sein! Kreativität braucht Raum für Fehler. Damit meine ich keine Gammelfleisch-Fehler, sondern die Detail-Fehler, über die wir uns sooo gerne mit unseren Nachbarn echauffieren. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich selber viel zu schnell zum notorischen Anton Ego werde. Interessanterweise aber nur in Bremen. Wenn ich in London, wie sooft, mal in ein kulinarisches Fettnäpfchen trete, dann juckt mich das nicht. Und es juckt auch niemanden anderen, weshalb ich auch nicht den Drang habe, es jemandem zu erzählen. Aber Bremen ist irgendwie meine Stadt. In meiner Stadt soll alles perfekt sein. Und jeder soll in meiner Stadt wissen, wenn etwas nicht perfekt ist. Ich glaube, dieses Gefühl kennen wir alle. Wir tun unserer Stadt damit aber keinen kulinarischen Gefallen, weil es ultimativ dazu führt, dass sich unsere Gatsronomen nichts mehr trauen und wir dann irgendwann nur noch die Wahl zwischen Pizza, Döner und Curry haben - und zwar im selben Laden.

Zusammenfassend kann man mathematisch korrekt sagen: Wenn unsere Gastronomen sich mehr trauen und wir Bremer weniger kritisch sind, trauen sich unsere Gastronomen wiederum mehr. Das führt nicht dazu, dass Bremen das neue London wird. Viel besser als das! Es führt dazu, dass wir in unserer kleinen, süßen Stadt mehr Kulinarik haben, mehr Erfahrungen sammeln und mehr Liebe spüren.

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